300 Kundinnen und Kunden kommen täglich in den Sozialmarkt im 12. Wiener Gemeindebezirk. Einkaufen darf dort jeder, der unter der Armutsgrenze von 1.300 Euro pro Monat lebt – und das werden immer mehr Menschen, sagt uns Sozialmarkt-Leiter Georg Jelenko. Durch die Corona-Krise und die steigenden Preise boomen die Sozialmärkte. Jelenko und seine Kolleg:innen suchen dringend neue Spenden, vor allem frisches Obst und Gemüse sind Mangelware.
„Was immer das Problem ist, bitte behebt es schnell!“ Wenn Georg Jelenko ein Gespräch führt, bewegt er dabei seine Augen 180 Grad durch das Geschäft um ihn herum. Er redet über die Produktauswahl, seinen Herzensjob und seine Kolleg:innen während er Waren zurechtrückt, junge Burschen bittet, keine Späße auf dem Palettenwagen zu treiben und bei der Kassa aushilft, wenn sich dort kurzzeitig Stress bemerkbar macht. „Alles gut, alles schon gelöst“, beruhigt die Verkäuferin. Eine Kundin hatte es offenbar eiliger als der Mann vor ihr – und drängelte hörbar. Eine Szene wie in jedem Supermarkt.
Herr Jelenko und seine Kollegin Andrea Costea leiten jedoch einen besonderen Supermarkt. In der Böckhgasse im 12. Wiener Gemeindebezirk öffnet seit 2019 ein Sozialmarkt an sechs Tagen die Woche seinen Kundinnen und Kunden die Türen. Er ist einer von fünf in Wien, die der Arbeiter Samariterbund betreibt. Von 9 bis 14 Uhr können Personen hier Lebensmittel, Hygieneartikel, manchmal auch Gewand, einkaufen, deren Einkommen so niedrig ist, dass sie an der Armutsgefährdungsschwelle liegen.
In Sozialmärkten kosten Lebensmittel und Hygieneartikel ein Drittel des marktüblichen Preises
Obst, Gemüse, Gebäck, Milch und Getränke: Die marktüblichen Preise können sich immer mehr Menschen in Österreich nicht mehr leisten. Auch nicht beim Diskonter. „Ich kenne viele, die laufen von einem Supermarkt zum nächsten, je nachdem, was wo um fünfzig Prozent reduziert ist, weil sich sonst die normalsten Lebensmittel nicht mehr ausgehen. Einkaufen ist ein logistischer Aufwand für sie“, erzählt Georg Jelenko. Im Sozialmarkt gibt es keine Aktionen, die man berücksichtigen muss: Die Waren sind immer günstig. Sie kosten etwa ein Drittel von dem, was man in den herkömmlichen Supermärkten bezahlen muss.
Als wir Anfang Mai im Geschäft stehen, sind die Reihen im Süßigkeiten-Regal mit bunten Schoko-Hasen und Packungen mit Ostereiern gefüllt. „Die Saisonware ist klassisch etwas, das wir bekommen. Die Ware ist einwandfrei, aber die Supermärkte wollen oder können sie nach Ostern nicht mehr verkaufen. Also können wir sie haben.“
Weniger Lebensmittel landen im Müll: Umwelt und Supermärkte profitieren
Der Weg des Schokohasen beschreibt gut, wie die Sozialmärkte an ihre Waren kommen. Lebensmittelhändler, Bäckereien, aber auch Gastronomen haben Überschüsse. Etwa, weil zu viel produziert und geliefert wurde, oder weil Saisonware nicht verkauft oder das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten wurde. Georg Jelenko steht mit den Händlern in Kontakt und hat vereinbart, dass diese Waren von Sozialmärkten abgeholt und verkauft werden dürfen. Es sind, kurzum, Warenspenden. Mit allen Vor- und Nachteilen: Für die Waren selbst fallen keine Kosten an und so können sie zum niedrigst-möglichen Preis an die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden. Gleichzeitig ist man vom – variierenden – Angebot abhängig und muss sich um die Beschaffung, Kontrolle und Verteilung kümmern.
Auch die Supermärkte profitieren: Sie müssen nichts mehr wegwerfen. „Bevor es Sozialmärkte gab, haben Supermärkte noch Tonnen an Lebensmitteln weggeworfen. Jetzt fangen wir das ab. Das ist auch vom Verschwendungsaspekt her sinnvoll. Nichts muss mehr im Müll landen obwohl es noch genießbar ist.“ Der Start war holprig, doch jetzt ist man routiniert in der Zusammenarbeit mit den Supermärkten, erzählt Jelenko.
Sechs Mal pro Woche starten die Fahrerinnen und Fahrer der Sozialmärkte um 6 Uhr früh die Motoren ihrer Transporter. Sie fahren jeden Händler ab, mit denen sie eine Vereinbarung haben. „Bis 14 oder 15 Uhr sind die unterwegs. In den Märkten prüfen wir dann die Ware – ob sie beschädigt ist oder dergleichen.“ Sogar warme Speisen werden dorthin umverteilt, wo sie man sie braucht. „Wir haben auch die Lebensmittel-Drehscheibe eingerichtet. Damit retten wir Speisen von Caterern, die übriggeblieben sind. Die bringen wir in Obdachlosen-Unterkünfte. Ziel ist überall: Die Ware soll schnell zu den Kundinnen und Kunden gelangen.“
Was in Regalen landet, hängt von Spendierfreudigkeit der Supermärkte ab
Jelenko war früher Verkaufsleiter bei Ankerbrot – und kennt in der Lebensmittelbranche entsprechend viele Leute. „So eine Zusammenarbeit wie jetzt, zwischen Sozialmärkten und anderen Händlern, kommt nicht von ungefähr. Man muss die Unternehmen überzeugen, dass die Lebensmittel gut bei uns aufgehoben sind.“ Und die Ware kommt bei den Menschen, die sie brauchen, an, betont Jelenko. Ca. 98 Prozent der Ware, die die Sozialmärkte abholen, landen auch bei VerbraucherInnen. „Wir haben sogar Kontakt zu Bauern. Wenn doch Brot hart wird, wird es zu Futter“, ergänzt er.
Jelenko pflegt Kontakt zu über 100 Partnern, aber wie viel man wovon bekommt, schwankt von Woche zu Woche. Obst und Gemüse sind schnell weg, denn jeder will sich so frisch und gesund ernähren, wie möglich. Doch genau da steigen die Preise gerade enorm. Am meisten los ist in der Filiale schon in der Früh.
„Ich würd‘ sagen, 80 Prozent unserer KundInnen sind Alleinerziehende mit Kindern und Ältere mit kleinen Pensionen“, sagt Georg Jelenko. Aber es sind auch Student:innen dabei, denen in den letzten zwei Jahren die Nebenjobs weggefallen sind und die plötzlich ohne Geld dastehen.
Das Ziel: Ein volles Einkaufswagerl Essen für 10 Euro
Aus diesem Grund sind die Öffnungszeiten auch eingeschränkt: Die, die die Sozialmärkte nutzen, können bis 14 Uhr kommen. „Würden wir länger geöffnet haben, bräuchten wir mehr Personal, das kostet mehr und wir müssten die Preise erhöhen. Und das versuchen wir, zu vermeiden“, erklärt Sozialmärkte-Leiter Jelenko. Ein volles Einkaufswagerl für zehn Euro – das ist das Ziel.
Aber wie ist das, wenn Märkte auf Lebensmittelspenden angewiesen sind – kommt es da auch zu Engpässen? „Das kann passieren, ja“, sagt Jelenko. Eine „Konkurrenz“ für Sozialmärkte sind die „grünen Boxen“ oder die vergünstigten Lebensmittel-Sackerl, die die Supermärkte selber verkaufen. Per App können sich KonsumentInnen so ein Sackerl um ein paar Euro kaufen und bekommen dann mehrere Lebensmittel eingepackt, die kurz vor dem Ablaufen sind. Gut, weil man Lebensmittelverschwendung vorbeugt. Schlecht, weil für Abnehmer wie Sozialmärkte weniger übrig bleibt. „Bei manchen Märkten bekommen wir dadurch statt acht Essenskisten nur noch zwei oder drei.“ Für die Supermärkte sind die „zu gut zum Wegwerfen“-Pakete attraktiv: wenig Aufwand, aber lukrativ.
Wer im Sozialmarkt einkaufen kann |
Die aktuelle Armutsgefährdungsschwelle in Österreich (sie entspricht 60% des Median-Einkommens) beträgt 1.371 Euro monatlich für einen Ein-Personen-Haushalt (12 Mal im Jahr). Wer in einem der Sozialmärkte des Samariterbundes einkaufen möchte, darf ein Maximaleinkommen von 1.238 Euro haben. Bei Paaren liegt die Grenze bei 1.856 Euro. Pro Kind werden noch 371 Euro addiert. |
Sozialberaterin berät, daneben entsteht ein kleines Café – “Menschen sollen auch Ort zum Plaudern haben”
Etwa zehn Menschen braucht man, die eine Filiale am Laufen halten. Mehr als die Hälfte davon, etwa sechs, arbeiten in der Regel ehrenamtlich. Sie alle sorgen dafür, dass täglich etwa 300 Kundinnen und Kunden ihren Bedarf an Lebensmitteln decken können. Auch Menschen, die Sozialstunden abarbeiten, beteiligen sich im Sozialmarkt. „Wir arbeiten mit dem Verein Neustart zusammen und schauen auch hier, dass wir einen Beitrag zur Gesellschaft leisten.“ Der Sozialmarkt in der Wiener Böckhgasse ist mehr als ein Ort, an dem nur schnell und stumm eingekauft wird.
Zwei Mal pro Woche steht eine Sozialarbeiterin zur Verfügung. An einem kleinen Tisch hilft sie dabei, Behörden- oder Bankbriefe zu verstehen oder erklärt den Ablauf von Anträgen. Sie hat Kontakt zu Magistraten, ist geduldig. Als wir im Markt sind, berät die Sozialarbeiterin gerade einen Mann aus der Ukraine, für ihn übersetzt ein anderer Kunde im Sozialmarkt aus Kasachstan. „Man braucht sich keinen Termin ausmachen. Man kommt einfach her – weil man ohnehin da ist“, sagt Jelenko. Seine Vision: Er will aus den Sozialmärkten Orte machen, an denen man sich gern aufhält – ohne Schamgefühl.
In der Filiale in Meidling tüfteln Jelenko und Filialchefin Andrea Costea an einem Café-Konzept. „Die Leute sollen gern herkommen, einen Ort zum Plaudern haben. Einen normalen Caféhausbesuch können sie sich nicht mehr leisten. Drum soll es hier Kaffee, Tee, kleine Mehlspeisen und ein paar Zeitungen geben. Gerade für die älteren Kundinnen und Kunden ist das schön – man muss ja was gegen die Einsamkeit tun“, findet Jelenko.
Jeder Euro in Sozialmärkte investiert schafft 8,50 Euro Mehrwert für die Gesellschaft
Die Filiale in der Böckhgasse ist nur eine von vielen Sozialmärkten in ganz Österreich. Der Dachverband Soma Österreich und Partner zählt insgesamt 40 Sozialmärkte. Der erste Standort wurde 1999 in Linz eröffnet. Betrieben werden die Märkte – neben dem Samariterbund – auch vom Wiener Hilfswerk, der Volkshilfe, der Caritas oder den VinziWerken. Sie alle sind Anlaufstelle für etwa 100.000 registrierte Kundinnen und Kunden. Zusätzlich gibt es auch noch regional organisierte Märkt mit eigenen Nutzungskriterien.
2019 haben ÖkonomInnen der Wirtschaftsuniversität Wien den gesellschaftlichen Mehrwert gemessen, den Sozialmärkte wie die Filiale in der Böckhgasse schaffen. Dabei ging es um ganz konkrete finanzielle Beträge. Dass arme Menschen im Sozialmarkt einkaufen kann, ist nicht bloß eine individuelle Erleichterung. Denn Armut – und ihre Folgen wie Isolation, psychische Erkrankungen, ernährungsbedingte Beschwerden, Belastungen für Kinder – verursacht neben konkretem Leid auch gesellschaftliche Kosten. Weshalb es im gesamtgesellschaftliches Interesse ist, Armut möglichst einzudämmen.
Das können Sozialmärkte zwar nicht leisten – wie auch – doch sie versuchen ihr Möglichstes, die Folgeerscheinungen abzufedern.
Die Studie der Wirtschaftsuniversität Wien konnte errechnen, dass jeder investierte Euro in einen Sozialmarkt 8,47 Euro Mehrwert schafft. Konkret für das Untersuchungsjahr bedeutete das: Den Investitionen von etwa 11,2 Millionen Euro – die sich durch Umsatzerlöse, Förderungen, Geld- und Sachspenden zusammensetzen – standen 95,5 Millionen Euro Mehrwert gegenüber.
Als Beispiele:
- Bei den KundInnen ergibt sich der Mehrwert durch Ersparnisse beim Einkauf, soziale Kontakte in den eigenen Cafés, einem besseren Lebensgefühl und psychische Entlastung. Der Nutzen wurde mit über 74 Millionen Euro beziffert.
- Die beteiligten Unternehmen wiederum ersparen sich Entsorgungskosten, nutzen die Kooperation für die Imagepflege. Der Nutzen wurde mit fast 1,1 Millionen Euro beziffert.
- Der Nutzen für die Umwelt – weniger Müll, weniger Abgase, weniger Wasserverbrauch – wird über 5 Millionen Euro berechnet.
- Die Sozialmärkte schaffen Arbeitsplätze – daraus resultieren Abgaben. Sozialmärkte fühlen sich auch für einstige Langzeitarbeitslose zuständig und bemühen sich, den Weg zurück in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Das heißt, man kümmert sich auch um Ausbildung und Re-Integration – auch das sind Zuständigkeiten, die sonst andere, öffentlich finanzierte Einrichtungen übernehmen würden.
Osternester, Nikolo-Sackerl, Zoo-Besuch – man bemüht sich vor allem um die Kinder
Man dreht an vielen Schrauben auf einmal. Auch wenn die Baustelle selbst bleibt. Armutsbetroffene in Österreich haben keine laute Lobby.
AlleinerzieherInnen? Sie sind mit 36 Prozent besonders häufig von Armut betroffen. Forderungen nach einer Unterhaltsgarantie verhallten im Nichts. Vom „Familienbonus“ erhalten sie nur einen Bruchteil für ihre Kinder – im Verhältnis zu gutverdienenden Eltern.
MindestpensionistInnen? „AufstockerInnen“? Müssen sich jetzt häufig verwirrenden Behördenschreiben herumschlagen, weil es um 150 oder 300 Euro Teuerungsausgleich geht – der angesichts der galoppierenden Preise ohnehin schnell verpufft.
Georg Jelenko und andere können das nicht beheben. Sie mühen sich ab, armen Menschen zwischendurch ein paar Freudenmomente zu ermöglichen. In der Böckhgasse in Wien organisieren die MitarbeiterInnen um die zehn Aktionen im Jahr: Verteilaktionen zu Ostern, ein Nikolausbesuch zu Weihnachten – samt Packerl für die Kinder. Spielzeug und Sportartikel für Familien.
„Weil Freizeit und Sport in der Regel auch Geld kosten. Aber Basketbälle oder ein Springseil sind auch Mittel, um gemeinsam zu spielen und Sport zu machen“, sagt Jelenko. Da genügt der Hof vor der Haustür. Deshalb „schnorren wir immer was zusammen“, wie er sagt. Mal Blumen für die Mütter am Muttertag – aber vor allem für die Kinder.
Netzwerker Jelenko grast Firmen ab, um Sponsoren für Zoo-Besuche oder einen Märchenwald-Besuch aufzutreiben. Denn ein Wochenend-Ausflug ist für Kinder aus armen Familien sonst gar nicht möglich. 7 Prozent aller Kinder in Österreich unter 16 Jahren können sich schlicht keine Freizeitaktivitäten leisten, die etwas kosten. Etwa den Schwimmbadbesuch oder das Kino.
Georg Jelenko: “Kämpfen weiter um jede Palette Lebensmittel”
Corona und die Teuerungswelle haben die Situation für Menschen mit niedrigen Einkommen noch verschlimmert. Österreichs Sozialmärkte werden wohl noch mehr Kundinnen und Kunden willkommen heißen als jemals zuvor. „Es herrscht große Unsicherheit, das merken wir bei den Leuten. Dass die Preise steigen, beschäftigt die Menschen sehr“, erzählt Jelenko. Im Samariterbund-Sozialmarkt in der Meidlinger Böckhgasse wird man jedenfalls „aufrüsten“, wie er sagt. Eine zweite Kassa ist geplant, damit man den Kundenstrom besser bewältigen kann. Aber auch die muss erst mal organisiert werden – auch die Kassen samt Förderbänder sind Spenden aus regulären Supermärkten. Und so hat Netzwerker Georg Jelenko auch in Zukunft alle Hände voll zu tun. „Es muss weitergehen. Wir kämpfen weiterhin. Um jede Renovierung, jedes neue Regal“. Was er sich wünschen würde, wenn er einen Wunsch frei hätte? “Zehn Paletten Lebensmittel mehr, vor allem Obst und Gemüse”.
Es ist schön, dass es Leute gibt die sich um das Wohl anderer kümmern,
und nicht wie unsere Politiker die auf die Bürger scheißen und hauptsache das eigene Geldbörserl wird schön durch Korruption gefüllt.
Ja ich unterstelle unserer Regierung Korruption.
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