ÖVP und FPÖ haben 2017 geheime Nebenabsprachen getroffen. In ihnen haben sie detailliert künftige Postenschacher-Pläne niedergeschrieben. Jetzt ist das Geheimpapier – der sogenannte Sideletter – aufgetaucht. Auch mit den Grünen hat die ÖVP in einem solchen vereinbart, wie die wichtigsten Posten aufgeteilt werden. Was genau steht drinnen? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was sind Sideletter überhaupt?
Sideletter sind schriftlich festgehaltene Nebenvereinbarungen. Sideletter werden beispielsweise beim Aufsetzen von Verträgen genutzt, wenn sich zwei Parteien noch zusätzlich auf Details und Einzelfall-Lösungen einigen. Der Vorteil aus Sicht der Unterzeichnenden: Sie bleiben geheim – liegen also keinem Gremium oder, im Falle der Politik, der Öffentlichkeit vor.
Was macht die Geheimpapiere von ÖVP und FPÖ aus 2017 nun so brisant?
Regierungsvorhaben sollten keine Geheimsache sein. Es geht um das Verwalten von Steuergeld, um staatsnahe Betriebe und um politische Vorhaben, die Folgen für uns alle haben. Deswegen sollten sich Parteien, die eine Regierung bilden, auf Vorhaben einigen, die sie öffentlich vorstellen und Kritik zulassen. Deshalb gibt es auch Koalitionsprogramme.
Diese Programme sind jedoch sprachlich oft vage gehalten. Details finden sich erst später zum Beispiel in Regierungsvorlagen. Nichtsdestotrotz: Man erfährt zumindest von den Vorhaben und kann dazu Stellung beziehen.
Der Sideletter von ÖVP und FPÖ ist deshalb brisant, weil er ganz genau regelt, wie RichterInnen im Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof besetzt werden sollen oder bei welchen Top-Posten ÖVP und FPÖ ihnen nahestehende Personen nominieren können. Kurz und Strache haben zudem taktische Zeitpunkte für politische Vorhaben – mit Rücksicht auf Landtagswahlen in Bundesländern – festgehalten. Sogar auf einen gemeinsamen Kandidaten für die Bundespräsidenten-Wahl 2022 wollte man sich einigen. Kurzum: ÖVP und FPÖ hatten eine geheime Wunschliste, die sicherstellen sollte, dass die Parteien langfristig Einfluss in Justiz und Staats-Beteiligungen haben.
Wie sehen die Geheimpapiere aus?
Der Sideletter aus 2017 umfasst fünf Seiten. Auf jeder Seite haben Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache unterschrieben. Das Geheimpapier wurde betitelt mit „Vereinbarungen“.
Es ist von Postenschacher die Rede. Um welche Positionen ging es da?
Die ÖVP und die FPÖ haben sich in diesem Geheimpapier Posten und Positionen im Verfassungsgerichtshof, im Verwaltungsgerichtshof, im ORF, in der Nationalbank (OeNB), den ÖBB, der Asfinag, der Staatsholding, den Gerichtshöfen der Europäischen Union, der EU-Kommission, dem EU-Rechnungshof und der Europäischen Investitionsbank gegenseitig zugesichert. Vor allem die ÖVP hat Ansprüche geltend gemacht. Laut “Profil” hat die ÖVP etwa doppelt so viele Personenwünsche geltend gemacht wie die FPÖ.
Wie sind die Geheimpapiere jetzt öffentlich geworden?
Offenbar war der amtierende FPÖ-Parlamentsklubdirektor im Besitz des Sideletters aus 2017. Norbert Nemeth war am 24. Jänner 2022 von der WKStA vorgeladen worden. Er sagte als Zeuge im WKStA-Verfahren gegen Sebastian Kurz wegen vermuteter Falschaussage aus.
Worum ging es da nochmal? Im Mai 2021 wurde Sebastian Kurz informiert, dass die WKStA gegen ihn und seinen damaligen Kabinettschef ermittelt. Der Grund sind vermutete Falschaussagen im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Kurz und Bonelli haben dort behauptet, nicht in die Bestellung von Thomas Schmid als ÖBAG-Vorstand bzw. nicht in die Bestellung des ÖBAG-Aufsichtsrats eingebunden gewesen zu sein.
Norbert Nemeth war 2017 an den Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ beteiligt. Nun hat er im Zuge seiner Einvernehmung unter anderem den Sideletter vorgelegt, den Kurz und Strache unterzeichnet haben.
Auch die Grünen haben mit der ÖVP solche Geheimpapiere geschrieben.
Auch mit den Grünen hat die ÖVP einen geheimen Sideletter verfasst. Der ist kürzer als jener aus 2017 und teilt Spitzenposten im Verfassungsgerichtshof, im Verwaltungsgerichtshof, im Bundesverwaltungsgericht und in der Nationalbank zwischen den Parteien auf. Anders als Kurz und Strache haben Kurz und Kogler noch keine konkreten Personenwünsche festgehalten, sondern „nur“ festgelegt, welche Partei wo ein Nominierungsrecht hat.
Warum könnten die Sideletter aus 2017 für Sebastian Kurz noch Folgen haben?
Im Sideletter zwischen ÖVP und FPÖ geht es auch um Postenbesetzungen bei der Beteiligungsgesellschaft – die spätere ÖBAG. Wie durch diverse Chats bekannt, wurde der Kurz-Vertraute Thomas Schmid 2019 zum Alleinvorstand der ÖBAG gemacht. Wobei die Ausschreibung auf ihn zugeschnitten wurde.
Im Ibiza-Untersuchungsausschuss wurde Sebastian Kurz danach gefragt, inwieweit er in die Bestellung von Thomas Schmid eingebunden war:
SPÖ-Fraktionsführer im Ibiza-Untersuchungsausschuss Jan Krainer fragte Kurz: Haben Sie sich für ihn (Thomas Schmid, Anm. d. Red.) eingesetzt?
Sebastian Kurz: Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich für ihn eingesetzt habe, aber ich habe ihn für qualifiziert gehalten. Und ja, ich respektiere auch diese Entscheidung.
Helmut Brandstätter (Neos) fragte Kurz: „Bis zu dem Zeitpunkt, an dem er Ihnen gesagt hat: Ich möchte mich für diesen ausgeschriebenen Posten bewerben, haben Sie mit ihm nie darüber gesprochen, dass er das werden könnte?“
Sebastian Kurz: „Nein, es war allgemein bekannt, dass ihn das grundsätzlich interessiert, und es war sicherlich auch so, dass immer wieder davon gesprochen wurde, dass er ein potenziell qualifizierter Kandidat wäre.“
Der Sideletter aus 2017 zeigt, dass Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache sich darauf geeinigt haben, dass die ÖVP den Vorstand der Beteiligungsgesellschaft nominiert. (In Punkt 11b) Name fällt damals keiner. Allerdings taucht dieser Abschnitt des Sideletters am 14. Jänner 2019 in Form eines Handyfotos auf: Am Handy des damaligen ÖVP-Finanzministers Hartwig Löger.
An diesem Tag – das zeigen laut WKStA Chat-Auswertungen – haben sich nicht nur Sebastian Kurz, Gernot Blümel und Hartwig Löger über die Besetzung des ÖBAG-Aufsichtsrats unterhalten, sondern auch Thomas Schmid mit Löger. Die WKStA geht davon aus, dass Löger das Foto des Sideletters im Zuge dieser Diskussionen gemacht hat. Und die übrigen Gesprächsteilnehmer – so die Annahme – hätten das Dokument wohl auch gekannt.